Hier Antworten auf einige oft gestellte Fragen. Vgl. außerdem das Interview von 2007.
Was ist das Thema des Buchs Jüdischer Adel?
In meinem Buch beschäftige ich mich mit Adelsverleihungen (ein anderes Wort für Adelsverleihung ist Nobilitierung) an Juden, in erster Linie in Österreich, Großbritannien und Preußen und zeitlich vor allem zwischen 1789 und 1914. Ich versuche, Antworten u.a. auf folgende Fragen zu geben: Wie attraktiv waren Adelstitel für Juden (vor allem für jüdische Großbürger des 19. Jahrhunderts, also Industrielle, Bankiers etc.)? Wie leicht oder schwer war es für sie, in verschiedenen Ländern geadelt zu werden? Und wie wichtig sind bei alledem Aspekte jenseits einzelstaatlicher Grenzen? Das Buch ist also ein Beitrag zur jüdisch-nichtjüdischen Beziehungsgeschichte, zur Bürgertums- wie zur Adelsforschung und zur transnationalen Geschichte.
Warum ist die Beschäftigung mit Adelsverleihungen an Juden interessant?
Insbesondere in Deutschland kommen selbst viele Fachleute gar nicht auf den Gedanken, dass es so etwas gab, jüdische Adlige. Das scheinbare Gegensatzpaar Judentum und Adel zu betrachten, wie es im Fall geadelter Juden zum Ausdruck kommt, ist gerade deshalb reizvoll: An den Fragen, ob Juden geadelt werden konnten und wollten und wie geadelte Juden von Juden und Nichtjuden wahrgenommen wurden, lässt sich einiges zeigen etwa darüber, wie sich Unterschiede zwischen Juden und Nichtjuden immer mehr abschliffen und wie Monarchen, (adlige) Minister und Beamte mit jüdischen Minderheiten umgingen. Im weiteren Sinn beschäftigt sich das Buch mit Fragen von Identität, Akkulturation bzw. Kosmopolitismus, Solidarität innerhalb einer Gruppe wie auch sozialer Distinktion, Toleranz gegenüber einer Minderheit oder aber (nicht zuletzt adligem) Antisemitismus. Wiederholt, und zwar schon in der Frühen Neuzeit, wurde Adelsverleihungen an (prominente) Juden ein starker Symbolcharakter zugesprochen, sowohl in positiver als auch negativer Hinsicht – mit auffälligen Parallelen damals wie heute, was Auszeichnungen prominenter Angehöriger einer Minderheit betrifft.
Wie leicht oder schwer war es für Juden, geadelt zu werden?
Es gab teilweise erhebliche nationale sowie zeitliche Unterschiede. Um 1900 wurden vor allem in Österreich und Ungarn, aber auch in Großbritannien und Italien Juden, die sich nicht hatten taufen lassen, in nennenswerter Zahl geadelt. Besonders judenfeindlich war die Nobilitierungspraxis in Preußen, doch selbst hier wäre offenbar um 1870 eine andere Entwicklung möglich gewesen. Es ist wirklich wichtig, genau hinzuschauen, denn vieles in dieser Geschichte ist verschlungen und widersprüchlich. Mehr zu alledem in Kapitel 3 und 4 meines Buchs …
Wie viele jüdische Adlige gab es?
Von Ende des 18. bis Anfang des 20. Jahrhunderts sind in Europa mehrere Hundert Personen jüdischen Glaubens geadelt worden, besonders viele wie gesagt in Österreich und Ungarn. Neuadlige, die mehr oder weniger entfernt jüdische Vorfahren in direkter männlicher Linie hatten, gab es im ‚langen 19. Jahrhundert’ insgesamt zweifellos mehr als 1000. Geadelte Personen aus konvertierten Familien sind allerdings in keiner Weise einfach so als Juden anzusehen: Es gibt außerordentlich viele Möglichkeiten, wie sie selbst und wie Außenstehende mit ihrer jüdischen Herkunft umgingen. Daher versuche ich, diesbezüglich so gut wie möglich zu differenzieren.
Gibt es heute noch jüdische Adlige?
Ja, wahrscheinlich gibt es in einer ganzen Reihe von Ländern Nachkommen jüdischer Familien (in direkter männlicher Linie), die im 19. Jahrhundert geadelt wurden. Man denke nur an die Rothschilds in London und Paris, von denen einige sogar wie ihre Vorfahren vor 200 Jahren als Bankiers tätig sind. Außerdem werden in manchen, wenn auch nur wenigen europäischen Ländern nach wie vor Adelsverleihungen vorgenommen, insbesondere in Großbritannien. Längst werden dort neben Christen und Juden auch Moslems, Hindus, Buddhisten etc. pp. geadelt – was in den entsprechenden communities mitunter auf ein lebhaftes Echo stößt (ganz ähnlich, wie dies im 19. Jahrhundert bei jüdischen, aber auch antisemitischen Publizisten der Fall war, wenn beispielsweise die Rothschilds prestigeträchtige Auszeichnungen erhielten).
Warum wollten Juden geadelt werden?
Die Erhebung eines Bürgerlichen in den Adelsstand war und blieb im 19. Jahrhundert eine besonders prestigereiche Art der Auszeichnung durch Staat und Monarch (die Monarchie war ja bis ins 20. Jahrhundert hinein die klar vorherrschende Staatsform in Europa). Als Adelserwerber kamen traditionell vor allem Offiziere, Spitzenbeamte und Gutsbesitzer, dann zunehmend auch vermögende Großbürger (Bankiers, Industrielle usw.), teilweise auch Wissenschaftler und Künstler in Frage. Juden, die geadelt wurden, waren in all diesen Gruppen vertreten, insbesondere aber im Besitzbürgertum, und unternahmen genau die gleichen Anstrengungen wie Nichtjuden in ähnlichen Positionen, um Adelstitel und meist auch andere Auszeichnungen (Verdienstorden, Honorarkonsulate etc.) zu erlangen.
Eine wichtige Erkenntnis meines Buchs ist, dass es falsch ist zu glauben (wie es momentan viele Forscher tun), in Preußen/Deutschland sei um 1900 die Attraktivität von Adelstiteln deutlich zurückgegangen. Davon kann gar keine Rede sein! Die in den letzten Jahren oft zu lesenden Beispiele von zumal jüdischen Großbürgern, die selbstbewusst Adelstitel abgelehnt haben sollen, sogar wenn sie ihnen von Wilhelm II. sozusagen auf dem Silbertablett angeboten worden waren, lassen sich samt und sonders nicht belegen. Wie sich in der Forschung eine solch eigenartige Verzerrung der damaligen Verhältnisse ergeben konnte, untersuche ich ausführlich in Kapitel 2.1 des Buchs. Ein weiterer Befund auf breiter Grundlage: Die Initiative zu einer Adelsverleihung lag in den allermeisten Fällen letztlich nicht beim Monarchen, bei einem Minister oder der Bürokratie eines Landes, sondern bei dem, der geadelt zu werden wünschte.
Wie kommt man dazu, sich mit einem solchen Thema auseinanderzusetzen?
Zunächst einmal, um dafür – nach vielen Jahren und harter Arbeit – selbst einen prestigeträchtigen Titel (Doktor der Philosophie) zu bekommen … Vor allem aber hat mich das Thema jüdischer Adel schon seit Langem fasziniert, eben weil hier scheinbar Unvereinbares zusammenkommt, sich daran vieles zeigen lässt und es bislang erfreulich wenig Forschung dazu gibt. Ambivalenzen nachzuspüren und sie auszubuchstabieren fand ich ebenso anspruchs- wie reizvoll; vielfältige Identitäten und transnationale Verbindungen, wie es sie in jüdischen Adelsfamilien nicht selten gab, sind uns zu Beginn des 21. Jahrhunderts vielleicht gar nicht so fremd, sondern wir können zumindest von Ferne Ähnlichkeiten erkennen; und die Mechanismen sozialer Distinktion zu untersuchen ist heute um nichts weniger wichtig als für das 19. Jahrhundert.
Wo findet man eigentlich Informationen zum Thema jüdischer Adel?
Gesucht habe ich und fündig geworden bin ich an vielen verschiedenen Stellen: in Archiven und Bibliotheken (sowie Buchhandlungen und Antiquariaten), auch in Museen und auf Friedhöfen und dann immer wieder an den unterschiedlichsten Stellen im offenen und tiefen Internet. Dazu habe ich einige Romane von damals und sehr viel Zeitung von jetzt gelesen, und nicht zuletzt habe ich mit einer Reihe von Menschen in verschiedenen Ländern gesprochen oder korrespondiert.
Was machte die Arbeit am Buch sonst noch spannend?
Ich habe dabei selbst unendlich viel gelernt (thematisch; sprachlich; über breites Recherchieren; wie man das macht, ein Buch zu schreiben und zu publizieren; über mich selbst) und viele beglückende Erlebnisse gehabt, mich mit einer Reihe interessanter Menschen ausgetauscht und Freunde fürs Leben gefunden, auf Spurensuche in Wien, London, Berlin und anderswo meinen Horizont erweitert … Die Möglichkeit, selbstständig zu arbeiten, hat mich bei alledem enorm beflügelt. Es gab auch sehr anstrengende Phasen und Augenblicke, doch insgesamt war und ist dieses Projekt für mich ein großes Glück.
Kai Drewes, Oktober 2013