Jüdische Adlige in Israel?

Gibt es eigentlich jüdische Adlige in Israel bzw. sind Adlige jüdischen Glaubens nach Palästina/Israel eingewandert? Die Balfour Declaration von 1917 war ja an Lord Rothschild als besonders prominenten Juden gerichtet, und vor allem in Großbritannien symphatisierten noch weitere (doch keineswegs alle!) jüdische Adlige mehr oder weniger mit dem Zionismus. Insbesondere die Familie Rothschild spendete mit der Zeit auch viel Geld für Projekte im heutigen Israel, womit unter anderem das Gebäude der Knesset, des israelischen Parlaments, errichtet wurde. Nicht von ungefähr ist der Rothschild Boulevard eine der wichtigsten Straßen Tel Avivs (in jüngster Zeit auch im Ausland etwas bekannter geworden durch zeltende Demonstranten).

wolfgang-von-weislDoch wie steht es nun mit jüdischen Trägern von Adelstiteln in Israel? Kein geringerer als Theodor Herzl hatte sich das um 1900 anfangs lebhaft ausgemalt: huldvoll jüdische Adlige im jüdischen Staat willkommen zu heißen, aber auch selbst neue Adelstitel an verdiente Juden zu verleihen. [1] Dazu kam es nicht. Tatsächlich sind wohl nur ganz wenige adlige Juden nach Palästina/Israel gegangen; die Rothschilds und viele andere, oft vermögende Familien wären nie ernsthaft auf die Idee gekommen, dorthin zu emigrieren.

Eine wichtige Ausnahme ist immerhin der aus Wien stammende, Anfang der 1920er Jahre nach Palästina emigrierte Wolfgang von Weisl (1896–1974). Der Arzt, Publizist und k. u. k. Weltkriegsoffizier nannte sich später Binyamin Ze’ev von Weisl und war ein Protagonist der revisionistischen Strömung des Zionismus. Seinen markanten Nachnamen hebräisierte er also interessanterweise nicht, sondern blieb als Angehöriger des europäischen Adels sichtbar! Formell gab es seit 1919 übrigens eigentlich gar keinen Adel und keine Adelstitel mehr in Österreich, aber das ist eine andere Geschichte.

eitan_avisharOffizier erst in Österreich, dann in Israel war Sigmund (1916 bis 1919 Edler von) Friedmann (1892–1964). [2] Als Hauptmann und Veteran des Ersten Weltkriegs war Friedmann von 1934 bis 1938 Vorsitzender des (österreichischen) Bundes Jüdischer Frontsoldaten (BJF). Nach dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich und einem halben Jahr Haft nach Palästina emigriert und überzeugter Zionist geworden, nannte er sich dort Eitan Avis(h)ar, brachte es bis zum General und stellvertretenden Stabschef der jüdischen Untergrundarmee Hagana, später wurde er erster Präsident des Obersten Militärgerichtshofes von Israel. Darüber hinaus verfasste er mehrere Bücher zu militärtheoretischen und -geschichtlichen Themen.

[1] Siehe dazu Drewes, Jüdischer Adel, S. 11–13.

[2] Über ihn siehe zum Beispiel Michael Berger, Für Kaiser, Reich und Vaterland. Jüdische Soldaten. Eine Geschichte vom 19. Jahrhundert bis heute, Zürich 2015, S. 148f. Sein Vater Moriz (1916 bis 1919 Edler von) Friedmann (1851–1932) war Berufsoffizier und im Weltkrieg als Oberstleutnant geadelt worden (Peter Frank-Döfering [Hg.], Adelslexikon des österreichischen Kaisertums 1804–1918, Wien etc. 1989, S. 303). Die Todesanzeige der Familie auf ihn setzte, 13 Jahre nach dem Adelsaufhebungsgesetz, das »Edle[r] von« beim Toten und allen Familienmitgliedern in Klammern und nennt als seinen letzten Dienstgrad Oberst (in Pension).

Die Rathenaus im Semi-Gotha

Die hauptsächliche Erwähnung des Industriellen Emil Rathenau im völkisch-antisemitischen Semi-Gotha findet sich in Bd. 1 von 1912 auf S. 491:

emil-rathenau_semi-gotha1
Rathenau-Eintrag im Semi-Gotha (1912) (Digitalisat: Google Buchsuche)

Das vollständige Zitat lautet:

»R a t h e n a u Emil, ✡ [1] Berlin 11.12.[18]38, Geh.[eimer] Baurat Dr. Ing. h. c., Dir.[ektor] d.[er] Allg.[emeinen] Elektr.[icitäts] Ges.[ellschaft], der Akkumul.[atoren]-Fabr.[ik] usw., als 28facher Verwalt.[ungs]-Rat 65 000 M[ar]k. jährlich steuernd, dessen Nobilitierung im Zuge oder schon erfolgt ist? Sein Sohn Dr. Walter R.[athenau] erwarb v.[origes] J.[ahr] [2] das k[köni]gl.[iche] Schloß F[r]eienwald b.[ei] Berlin für 252 000 M[ar]k. für sich als Sommersitz. Sind mosaisch und oben unerfreulich gut angeschrieben.«

Der letzte Satz macht deutlich, dass die Autoren nicht zuletzt Wilhelm II. kritisierten: Prominente Juden hätten einen großen (und also nach antisemitischer Lesart unheilvollen) Einfluss auf den Monarchen. Dabei war Wilhelm II. selbst starker Antisemit; seine angebliche Absicht, die bedeutende Industriellenfamilie Rathenau mit einem Adelstitel zu ehren, ist völlig aus der Luft gegriffen.

[1] Die Verwendung des Davidsterns statt des sonst als genealogisches Zeichen üblichen Sternchens (*) soll im Semi-Gotha in abwertender Absicht die jüdische Herkunft des Genannten herausstreichen.

[2] Walther Rathenau hatte Schloss Freienwalde 1909 gekauft (siehe dazu Anna Teut, Bürgerlich königlich. Walther Rathenau und Freienwalde, Berlin 2007).